Friesisches Manifest ? Vorsitzender der Friisk Foriining bezieht Stellung
Nachdem die Friisk Foriining unser friesisches Manifest neu überarbeitet hatte und es dem Inter-friesischen Rat zur weiteren Behandlung übergab, kamen auch bald die ersten Reaktionen. Eine der führenden Personen im Nordfriesischen Verein unterstellte der Friisk Foriining, die Friesen in gute und weniger gute spalten zu wollen. Die Botschaft lautet wie folgt:
?Liebe Friesen,
der Entwurf für ein „neues“ Friesisches Manifest ist KEIN Fortschritt! Vor 50 Jahren fand man für die Friesen in Ost, West und Nord eine gemeinsame Arbeitsgrundlage. Jetzt sind wieder Spalter am Werk, die zwischen guten Friesen – aktiv friesisch sprechenden – und weniger guten Friesen -hochdeutsch, niederländisch oder plattdeutsch sprechenden ? unterscheiden wollen. Was soll uns Friesen ein neuer Kulturstreit nützen??
– Dies sagt mehr aus über den Absender als über den Empfänger. Denn der Friisk Foriining geht es mitnichten um eine Spaltung der Friesen, sondern gerade um das Gegenteil. ? Es sollen hier alle Friesen für ein gemeinsames Ziel motiviert werden, nämlich für den Erhalt und Ausbau unserer ge-meinsamen sprachlich-kulturellen Grundlage. Angesprochen werden sollen übrigens auch alle, denen ganz allgemein der Erhalt sprachlich-kultureller Vielfalt wichtig ist.
Unser mittlerweile 50 Jahre altes friesisches Manifest ist in vielerlei Hinsicht ein bemerkens-wertes Dokument. Es ist für seine Zeit europäisch vorausschauend. Es manifestiert eine grenzüber-greifende europäische und friesische Identität im Europa der Nationalstaaten und ist für Friesen unge-wöhnlich zukunftsorientiert. Aber es ist auch ein Kind seiner Zeit, das wie alles im Leben ab und an eine neue Form braucht, seinen Inhalt aktualisieren und sich neuen kulturell-politischen Rahmenbe-dingungen anpassen muss. Der Wortlaut muss mit dem Sprachverständnis der heutigen Zeit überein-stimmen und der Inhalt präziser formuliert werden. Vor 50 Jahren steckte die europäische Union noch in den Kinderschuhen. Im Manifest von 1955 heißt es: ?Die Zeit drängt nach größeren Zusammen-schlüssen.? Inzwischen ist die EU seit langem politische Realität.
Vor 50 Jahren mag es nötig gewesen sein, die plattdeutsche Sprache mit einzubeziehen. Im Manifest von 1955 heißt es noch: ?Muttersprache, sei sie friesisch oder plattdeutsch!? Das nieder-deutsche Element des Manifestes hat sich seither zu einer eigenen Größe entwickelt und kann heute für sich alleine stehen; es ist ein berechtigtes Anliegen aller Niederdeutschen in Europa geworden. Wohingegen die friesische Sprache und Kultur als gemeinsames Identifikationsmerkmal aller Friesen in Europa und allen anderen Ländern dieser Welt heute deutlicher hervorgehoben wird.
Ein Mitglied des Friesenrates aus Ostfriesland formulierte es als Antwort auf die oben erwähnte Aussage so: ?Ich bin selber muttersprachlich plattdeutsch, gleichwohl meine ich, dass der Inter-friesische Rat sein Profil hinsichtlich der friesischen Sprache schärfen sollte. Darum geht es mir: Um eine stärkere Akzentuierung auf das Friesische, nicht aber um eine Ausgrenzung der Plattdeutschen (wer will sich schon selber ausgrenzen?). ?
Und darüber lohnt sich meines Erachtens auch ein Meinungsstreit (meinetwegen auch ein Kulturstreit); dieser kann und sollte so geführt werden, dass das gemeinsame Ziel nicht aus den Augen verloren wird.?
Damit bringt er die Sache auf den Punkt. Denn weder die niederdeutsche Sprache noch ihre Sprecher sollen ausgegrenzt werden. Aber wie bereits erwähnt, haben sich für diese Gruppe inzwisch-en besonders in Norddeutschland eigene Strukturen mit entsprechenden Organisationen entwickelt, mit denen eine Zusammenarbeit nicht nur denkbar, sondern auch wünschenswert ist.
Ebenso ist es eine Tatsache, dass die Friesen in den letzten Jahrzehnten als anerkannte Minder-heit gesondert herausgehoben und abgesichert worden sind. Dies wird u. a. in der Landesverfassung, im Friesisch-Gesetz, in der Sprachencharta und im Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten deutlich. Hier wurden ganz neue Rahmenbedingungen für die Friesen und das Frie-sische geschaffen.
Dieser Entwicklung müssen wir uns auch bei der Betrachtung des friesischen Manifestes von 1955 stellen. Das ist verständlich in Fryslân, im Saterland und auch bei den Ostfriesen – und müsste es auch im Sprachenland Nordfriesland sein.
Es macht also Sinn, unser gemeinsames Manifest zu aktualisieren. Und das in den drei erwähn-ten Bereichen Wortlaut, Inhalt und Rahmenbedingungen. Die Redewendungen und Ausdrücke des alten Manifestes mögen für die damalige Zeit die richtigen gewesen sein. Ob allerdings unsere heuti-gen Adressaten für moderne Sprach-und Kulturarbeit sich als Angehörige eines Stammes fühlen, des-sen Kultur in den Tiefen des Volkstums wurzelt, das gleichsam als Deich gegen die gleichmachende Flut der Massen Schutz bietet, ist nicht anzunehmen. Ob diese Formulierungen heute noch greifen, kann bezweifelt werden. Eher stärken sie wohl die altbekannten Klischees über Friesen, wie sie oft in den Medien zur Anwendung kommen. Hier entsteht dann das Bild eines eher vergangenheits-bezogenen und rückständigen Menschen.
Das genaue Gegenteil ist der Fall: Friesen sind moderne Menschen mit viel Kompetenz für das Leben in einer mehrsprachigen, europäischen Welt, ohne dabei ihre eigene sprachliche-kulturelle Identität zu verlieren. Das muss auch in unserem gemeinsamen Manifest zum Ausdruck kommen!
Dass die EU sich in den letzten 50 Jahren von einem losen Staatenbund zu einer Union und wirtschaftlichen Weltmacht entwickelt hat, ist eine Tatsache. Dies hat auch die Rolle der sprach-lichen-kulturellen Minderheiten ohne eigenen Nationalstaat geändert. Diese werden sich in Zukunft aus gemeinsamen Interesse viel enger vernetzen und tun dies zum Teil auch jetzt schon. Friesen rücken hier enger zusammen mit z.B. Sorben, Rätoromanen und den Kelten aus Großbritannien.
Auch der allmähliche Übergang von nationaler Grenzlandspolitik zur Minderheitenpolitik in un-serer eigenen Region hat zu einer Trennung von friesischer und plattdeutscher Sprach- und Kultur-arbeit geführt, ohne dass hier von Ausgrenzung die Rede ist. Die meisten Friesen sprechen beide Sprachen. Das gilt auch für den Verfasser dieses kleinen Textes. Einer Zusammenarbeit beider Gruppen im Bereich der gemeinsamen Interessen sollte nichts im Wege stehen, sondern wäre, wie schon erwähnt, wünschenswert.
Wir sollten uns daher alle zu einem zeitgemäßen Manifest entschließen können. Das ist vermut-lich in Fryslân, im Saterland und in Ostfriesland kein Problem. In Nordfriesland (siehe oben) scheint es noch zu haken. Das hat historische Gründe. – Für den einen oder anderen ist es sicher auch heute noch schwer, das Bewahren unserer gemeinsamen Sprache und des damit verbundenen kulturellen Ausdrucks von überholten nationalpolitischen Vorstellungen zu trennen. – Aber es geht immer öfter.
Unser überarbeitetes Manifest sollte aber kein ?angepasstes? sein. Das ist das Original auch nie gewesen. Sondern es muss ein Dokument sein, das in die Zeit passt. So dass die, die nach uns auch mit unserer Sprache und Kultur leben wollen, für die Zukunft eine Plattform haben.
?Wan huum foon e üülj tid inönj e nai wal, scheent et as wan da fiile for en schör stal stönje än e tid ham ferpüstet for en nai runde. Sün tid heet sin ünsääkerhäide, ouers nuch mör sin grute naie möölikhäide. Än da wan we tu påken heewe. – Dan we hääwe dåt waasen än dåt koonen, di spräng eefter foorne tu woogen, ap önj e modärne, am for üs frasche en plååts önj e tukamst tu sääkern. Deer gunge we haane, fülid foon da goue wansche än fründlike toochte foon da üülje, tuhuupe ma da junge än dåt latj fölkj bai e hönj. – Önj di san!?
Jörgen Jensen Hahn ? Friisk Foriining